đČ Elizabeth âLizzieâ Magie: Die Kapitalismuskritik, aus der Monopoly wurde
- Marie Laveau
- 3. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Stell dir vor, du sitzt mit Freunden an einem Tisch. Die WĂŒrfel rollen, Hotels entstehen, deine Miete schnellt in astronomische Höhen â und irgendwann wirst du, unterdrĂŒckt vom lachenden Immobilienhai zur Linken, bankrott erklĂ€rt. Willkommen bei Monopoly! Ein Klassiker des Familienzerstreits. Aber Moment mal â war das nicht eigentlich mal eine Kritik am Kapitalismus?
TatsĂ€chlich ja. Und das verdanken wir Elizabeth "Lizzie" Magie â einer Frau, die ein Spiel erfand, um Menschen aufzuzeigen, wie ungerecht der Eigentumshunger Einzelner die Welt gestalten kann.
Ironischerweise wurde ihr Spiel spÀter genau das, was sie kritisieren wollte: ein Symbol des Kapitalismus.
Dies ist die Geschichte von Lizzie Magie â VisionĂ€rin, Feministin, Spielentwicklerin, Satirikerin und tragischerweise auch: eine der am meisten ĂŒbersehenen Frauen der Spielgeschichte.

đ©âđŹ Die Frau hinter dem Spiel â oder: Wie Lizzie dem Kapitalismus die Maske abreiĂen wollte
Elizabeth J. Magie wurde 1866 in Macomb, Illinois geboren â in einer Zeit, in der Frauen hauptsĂ€chlich als Dekoration, Ehefrau oder bestenfalls Krankenschwester vorgesehen waren. Doch Lizzie war anders. Sie war Erfinderin, Schriftstellerin, BĂŒhnenautorin und Satirikerin. Ein richtiges Multitalent â und dabei scharfzĂŒngig, intelligent und politisch wach.
Ihr Vater war ein Abolitionist, also jemand, der sich aktiv fĂŒr die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Von ihm erbte sie nicht nur ihren Idealismus, sondern auch ihren unbĂ€ndigen Drang, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Und so kam es, dass Lizzie sich nicht einfach nur Ă€rgerte ĂŒber das wirtschaftliche System â sie spielte mit dem Gedanken, es den Menschen begreiflich zu machen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
đČ Das Spiel des Lebens â anders gedacht
1904 reichte Lizzie ein Patent fĂŒr ihr selbst entwickeltes âLandlordâs Gameâ ein. Die Idee war radikal: Ein Brettspiel, das nicht nur unterhĂ€lt, sondern politisch bildet. In zwei Varianten konnte man das Spiel spielen:
Die monopolistische Variante, bei der ein Spieler gewinnt, indem er alle anderen finanziell ruiniert (klingt bekannt?).
Die anti-monopolistische Variante, bei der alle Mitspielenden profitieren, sobald Landbesitz in gemeinschaftliche HĂ€nde fĂ€llt â ein Modell, das dem Philosophen Henry George nahestand, dessen Ideen Lizzie verehrte.
Henry George propagierte eine sogenannte Single Tax auf Bodenbesitz â die Idee, dass Landbesitz nicht der Einzelne, sondern die Gesellschaft kontrollieren sollte. Lizzie fand das genial â und wollte es populĂ€r machen. Nicht mit dicken BĂŒchern. Sondern mit einem Spiel, das Kindern und Erwachsenen zugleich die Augen öffnen wĂŒrde. Gamification avant la lettre.
đ§© Feministin mit Feuer
Lizzie Magie war nicht nur spielerisch rebellisch. Sie war eine radikale Feministin zu einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten. In einem Interview sagte sie:
âFrauen sind Menschen, und wie MĂ€nner haben sie das Recht, sich selbst auszudrĂŒcken.â
Das klingt heute selbstverstĂ€ndlich â war es damals aber keineswegs. Lizzie war eine Frau mit eigener Meinung, eigener Karriere und einem beachtlichen Erfindergeist. 1893 meldete sie ein Patent fĂŒr eine Schreibmaschine an, die es einfacher machte, mehrere Buchstaben gleichzeitig einzugeben â eine echte Innovation.
Und sie tat etwas, das viele MĂ€nner ihrer Zeit nicht einmal wagten: Sie veröffentlichte politische Satiren, in denen sie die Doppelmoral des Wirtschaftssystems gnadenlos sezierte. In einem von ihr veröffentlichten Pamphlet heiĂt es:
âWir lehren unsere Kinder, dass man durch FleiĂ und Ehrlichkeit im Leben weiterkommt. Dann lassen wir sie in einer Welt los, in der Gier und Besitz die WĂ€hrung des Erfolgs sind.â
Touché, Lizzie.
đ”ïž Der groĂe Ideenklau â und wie Parker Brothers sie verschluckten
Und dann kam er: Charles Darrow. In der Welt der Spielegeschichte lange Zeit gefeiert als der Erfinder von Monopoly. Der sympathische Arbeitslose, der wĂ€hrend der GroĂen Depression ein Spiel erfand, das ihn zum MillionĂ€r machte. Klingt romantisch, oder?
Blöd nur, dass Darrow in Wahrheit Lizzie Magies âLandlordâs Gameâ kopiert hatte â samt Spielmechanik, Spielfeldgestaltung und sogar einiger Namen. Er hatte die Spielidee ĂŒber Bekannte kennengelernt, minimal umgestaltet und bei Parker Brothers eingereicht. Die Firma erkannte das Potenzial, kaufte Darrow die Rechte ab â und suchte bald auch Lizzie Magie auf.
Was tat Parker Brothers? Sie kauften 1935 auch Lizzie Magies Spiel, allerdings nicht, um es zu vermarkten, sondern um es zu begraben. FĂŒr 500 Dollar (kein Tippfehler) ĂŒberlieĂ Lizzie ihre Rechte â im Glauben, dass Parker Brothers ihre Idee einer breiten Ăffentlichkeit zugĂ€nglich machen wĂŒrde. Stattdessen pushten sie Darrow zum alleinigen Genie und lieĂen Lizzie in der FuĂnote verschwinden.
Monopoly wurde zum weltweit erfolgreichsten Brettspiel aller Zeiten. Lizzie zur tragischen Figur. Ironie? Satire? Absurdistisches Drama? Ja, all das â und mehr.
đ Der spĂ€te Ruhm â wenn auch nur als FuĂnote
Erst in den 1970er Jahren begannen Historiker*innen, Lizzie Magies Geschichte wieder ans Licht zu bringen. Allen voran Ralph Anspach, ein Wirtschaftswissenschaftler, der ein Spiel namens âAnti-Monopolyâ herausbrachte und prompt von Parker Brothers verklagt wurde.
In dem darauffolgenden Rechtsstreit grub Anspach tief in den Archiven â und fand Beweise fĂŒr Lizzie Magies frĂŒhere Urheberschaft. Das Gericht stellte fest: Monopoly basierte nicht auf Darrows OriginalitĂ€t, sondern auf Magies Spiel. Zwar erhielt Lizzie keine Rehabilitierung zu Lebzeiten â aber ihr Name wurde endlich genannt.
Heute gilt sie als eine der ersten Game Designerinnen der Geschichte â und als scharfsinnige Kritikerin eines Systems, das Menschen eher bespielt als befreit.
â€ïž Lizzie, das VermĂ€chtnis â und was wir daraus lernen können
Was bleibt von Lizzie Magie?
Ein Brettspiel, das seine eigentliche Botschaft auf tragische Weise konterkariert.Eine Frau, deren Erfindergeist durch patriarchale Strukturen systematisch unterdrĂŒckt wurde. Ein Beweis, dass man selbst mit WĂŒrfeln und Papier das Denken einer Generation verĂ€ndern kann â wenn man den Mut dazu hat.
Aber auch: Inspiration. Lizzie erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Spielregeln zu hinterfragen. Wer gewinnt? Wer verliert? Und: Muss das Spiel wirklich so gespielt werden, wie es uns ĂŒberliefert wurde?
Vielleicht, nur vielleicht, ist die gröĂte Revolution nicht der Aufstand â sondern das Spiel, das uns zeigt, wie absurd das System wirklich ist.
đ Quellenangaben
Mary Pilon: The Monopolists: Obsession, Fury, and the Scandal Behind the World's Favorite Board Game. Bloomsbury Publishing, 2015.
Ralph Anspach: The Billion Dollar Monopoly Swindle. Xlibris Corporation, 2001.
Patented by Lizzie Magie: US Patent No. 748,626 â The Landlordâs Game (1904).
New York Times Archive: âInventor of the Landlordâs Game Sells Rightsâ (1935).
Smithsonian Magazine: âThe Secret History of Monopolyâ
The Guardian: âMonopolyâs feminist roots: how Lizzie Magie reinvented the gameâ (2015).
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