đ Cecilia Payne-Gaposchkin: Die Frau, die entdeckte, woraus Sterne wirklich bestehen
- Marie Laveau
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
WĂ€re das Universum ein MĂ€rchen, dann wĂ€re es eines, das stĂ€ndig von Königen erzĂ€hlt wird, obwohl die wahren Heldinnen unauffĂ€llig im Hintergrund die Welt retten. Oder in diesem Fall: das Weltall erklĂ€ren. Eine von ihnen war Cecilia Payne-Gaposchkin. Wenn man sich mit ihrem Leben beschĂ€ftigt, fĂŒhlt es sich an, als wĂŒrde man einem galaktischen Krimi lauschen â mit blendenden Sternen, wissenschaftlichen Intrigen, einem Touch Chauvinismus und einer Heldin, die in aller Stille das Fundament der modernen Astrophysik gelegt hat.
Man kann sich fragen, wie oft die Menschheit das Universum fast missverstanden hĂ€tte â weil MĂ€nner mit grauen AnzĂŒgen und autoritĂ€rem Schnurrbart âIch denke nicht, dass das richtig istâ gemurmelt haben. Einer dieser MĂ€nner war Henry Norris Russell. Und er stand auf der falschen Seite der Sternengeschichte.

đ Cecilia Payne-Gaposchkin, das mathematische Wunderkind mit Sternenstaub in den Adern
Cecilia Payne wurde 1900 in Wendover, England geboren, in eine Zeit, in der man Frauen im besten Fall zutraute, Blumen zu benennen â aber bitte nicht deren Photosynthese zu erklĂ€ren. Sie war ein kluges, wissbegieriges MĂ€dchen, das sich fĂŒr Naturwissenschaften begeisterte. Ein Lehrer meinte einst zu ihr: âIf I were a man, I would say that you ought to be a scientist.â (WĂ€re ich ein Mann, wĂŒrde ich sagen, Sie sollten Wissenschaftlerin werden)
Spoiler: Sie wurde eine.
Payne gewann ein Stipendium fĂŒr das Newnham College in Cambridge, wo sie Physik und Chemie studierte â gegen die gesellschaftliche Strömung, die Frauen nahelegte, lieber einen kultivierten klavierspielenden Gatten zu suchen als den Ursprung der Sternenspektren. Obwohl sie sĂ€mtliche PrĂŒfungen mit Bravour bestand, verlieh Cambridge ihr keinen Abschluss â Frauen bekamen bis 1948 (!) dort keine akademischen Titel.
Also zog sie 1923 in die USA, wo Harvard unter Edward Charles Pickering (und mit vielen sogenannten "Harvard Computers", oft brillante Frauen wie Annie Jump Cannon) eine Art Oase fĂŒr astronomisch begabte AuĂenseiterinnen war. Dort, unter dem berĂŒhmten Astronomen Harlow Shapley, begann sie ihre Arbeit â und verĂ€nderte im zarten Alter von 25 Jahren unser VerstĂ€ndnis des Kosmos.
đ Die groĂe Entdeckung: Sterne bestehen vor allem aus⊠Wasserstoff?!
Cecilia Payne beschĂ€ftigte sich mit Spektralanalysen von Sternen â einer Art kosmischem Barcode-Scanner, mit dem man aus Lichtfarben auf chemische Zusammensetzung schlieĂen kann. Bisher nahm man an, dass die Sonne â und ĂŒberhaupt Sterne â chemisch Ă€hnlich aufgebaut seien wie die Erde: vor allem aus Eisen, Sauerstoff, Silizium.
Doch Payne analysierte die Spektren und bemerkte eine frappierende Diskrepanz: Wasserstoff war in den Sternen viel hĂ€ufiger vertreten als jedes andere Element â um mehrere GröĂenordnungen! Sie schlussfolgerte mutig: Sterne bestehen ĂŒberwiegend aus Wasserstoff und Helium.
Sie veröffentlichte 1925 ihre Dissertation âStellar Atmospheresâ â laut Otto Struve âdie vielleicht brillanteste Dissertation, die je in der Astronomie geschrieben wurde.â
Aber nicht alle teilten diese Meinung.
đ Mansplaining aus dem Weltall: Henry Norris Russell sagt âNeinâ
Als Cecilia ihre revolutionĂ€re Erkenntnis veröffentlichte, wurde sie sofort gebremst â von einem der angesehensten Astronomen jener Zeit, Henry Norris Russell. Er war freundlich, gebildet, und â leider â fest in den alten Denkmustern verhaftet. Russell erklĂ€rte, dass ihre Ergebnisse zwar mathematisch korrekt seien, aber âphysikalisch unmöglichâ. Die Sonne, argumentierte er, könne nicht hauptsĂ€chlich aus dem leichtesten Element bestehen. Die Vorstellung widersprach einfach allem, was man zu wissen glaubte.
Cecilia Payne â jung, weiblich, neu in der Szene â nahm diese Kritik ernst. In einem Akt akademischer Unterwerfung schrieb sie selbst in ihrer Dissertation, ihre Ergebnisse seien âwahrscheinlich falschâ.
Ironischerweise wiederholte Henry Norris Russell ein paar Jahre spĂ€ter exakt ihre Analyse, bestĂ€tigte die Wasserstoffdominanz â und wurde dafĂŒr gefeiert.
Mansplaining, aber auf kosmischer Ebene.
đ Genie mit FuĂnoten: Wie Frauenwissen stillgeschwiegen wird
Die Geschichte von Cecilia Payne ist nicht nur eine Geschichte ĂŒber Wissenschaft, sondern ĂŒber AutoritĂ€t, Macht und das Gewicht gesellschaftlicher Erwartungen. Ihre Entdeckung war ein Geniestreich â aber die Anerkennung dafĂŒr kam erst Jahrzehnte spĂ€ter. Sie wurde zum Paradebeispiel fĂŒr ein PhĂ€nomen, das heute als âMatilda-Effektâ bekannt ist: Die systematische Unsichtbarmachung von Frauen in den Naturwissenschaften.
Dass Payne sich dem Urteil Russells beugte, war kein Zeichen intellektueller SchwĂ€che â sondern ein Resultat struktureller Diskriminierung. In einer Zeit, in der Frauen kaum Publikationsmöglichkeiten, Anstellungen oder Gehör bekamen, war das eigene Schweigen oft die Eintrittskarte zum Ăberleben.
đ§Ș Langfristiger Triumph: Die Physikerin, die dem Universum seine Form gab
Trotz allem lieĂ sich Payne-Gaposchkin (sie heiratete spĂ€ter den russischen Astrophysiker Sergei Gaposchkin) nicht entmutigen. Sie forschte unermĂŒdlich weiter, wurde 1956 die erste Professorin an der Harvard University â eine Premiere nach 300 Jahren MĂ€nnerkarriere.
Sie leitete das Department of Astronomy, schrieb mehrere bahnbrechende BĂŒcher und inspirierte Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
In ihren spĂ€teren Jahren sagte sie rĂŒckblickend:
âIch erinnere mich an ein GefĂŒhl völliger Freiheit. Ich war nicht mehr durch die Grenzen des tĂ€glichen Lebens eingeschrĂ€nkt. Ich hatte das Universum zu meinem Zuhause gemacht.â
Man kann sagen, dass Cecilia Payne das Universum lesbar machte. Und das, obwohl man versuchte, sie zum Schweigen zu bringen.
đ Was lernen wir daraus?
Wenn dir also das nĂ€chste Mal jemand mit autoritĂ€rer Stimme sagt, du hĂ€ttest Unrecht â denk an Cecilia. Und an die Tatsache, dass selbst brillante Frauen ihre Erkenntnisse zurĂŒcknahmen, weil MĂ€nner mit AutoritĂ€t das âGefĂŒhlâ hatten, es könne nicht stimmen.
Auch wenn du kein:e Astrophysiker:in bist: Du darfst recht haben, selbst wenn andere glauben, dass du es nicht darfst.
âš Postskriptum: Ein Toast auf das Unbeugsame
Wenn wir ĂŒber Gleichstellung in der Wissenschaft sprechen, ĂŒber DiversitĂ€t, ĂŒber Anerkennung â dann sprechen wir auch ĂŒber Gerechtigkeit im RĂŒckblick. Wir können Cecilia Payne-Gaposchkin keine Gedenkmedaille mehr ĂŒberreichen, aber wir können ihre Geschichte erzĂ€hlen. Mit Glanz, mit Witz und mit der WĂŒrde, die ihr zusteht.
Und falls du heute Abend in den Himmel schaust: Denk daran, dass die Sterne da oben nicht nur aus Licht bestehen â sondern aus Wasserstoff, Helium und einer gehörigen Portion Cecilia Payne.
đ Quellenangaben:
Payne-Gaposchkin, Cecilia. Stellar Atmospheres, Harvard Observatory Monographs, 1925.
Russell, Henry Norris. "On the Composition of the Sunâs Atmosphere", Astrophysical Journal, 1929.
Struve, Otto. Astronomy of the 20th Century, Macmillan, 1962.
Rossiter, Margaret W. Women Scientists in America: Struggles and Strategies to 1940, Johns Hopkins University Press, 1982.
"Cecilia Payne-Gaposchkin." NASA History Division, https://history.nasa.gov
McGrayne, Sharon Bertsch. Nobel Prize Women in Science, Birch Lane Press, 1993.
Keller, Evelyn Fox. Reflections on Gender and Science, Yale University Press, 1985.
đ